Industrie 4.0 und Optimierung durch agile Software (Interview)

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Das Interview mit CEO Adrian Weiler (INFORM) hat das Thema Optimierung von Prozessen und den Einsatz agiler Software in der Welt von Industrie 4.0 im Fokus.

Verfolgt man die Presse in Deutschland, dann schlägt das Pendel zwischen den Extremen „Wir sind bestens für die Zukunft aufgestellt“ und „Wir verschlafen die digitale Zukunft“ aus. Wie ist ihre Sichtweise, was fehlt, wo geht die Reise hin?

Ich würde sagen: In der Mitte liegt die Wahrheit. Generell wird das Potential intelligenter IT-Systeme von vielen Unternehmen noch unterschätzt oder nicht voll ausgeschöpft, da sie den Aufwand der Implementierung überschätzen. Gerade mittelständische Unternehmen könnten noch sehr viel häufiger Chancen nutzen, insbesondere bei der Optimierung betrieblicher Prozesse. Zum Beispiel wird die Beschaffung von Rohstoffen und Zukaufteilen oft noch zu schematisch allein auf Basis von Erfahrungswerten abgewickelt, obwohl flexiblere und effizientere Technologie-Lösungen zur Unterstützung zur Verfügung stehen und einen echten Wettbewerbsvorteil schaffen könnten. Hier besteht noch sehr viel Verbesserungspotential durch intelligente Supply Chain Optimierung.

Ihr Unternehmen, die Inform GmbH, ist eine fantastische deutsche Wachstumsgeschichte, aber eher eine Ausnahme. In der Vergangenheit haben wir global, abgesehen von SAP, in der IT- und Software-Industrie keine Rolle gespielt. Heute dominieren Google, Apple, Facebook und Amazon die Welt. Wie sehen sie diese Entwicklung?

Bei Massenanwendungen sind es sicherlich amerikanische Konzerne, die den Ton angeben. Im Bereich intelligenter Steuerung von Produktion, Logistik und Supply Chain ist aber Made in Germany nach wie vor ein Qualitätssiegel. Das gilt insbesondere für die „dritte Welle“ des IT-Einsatzes in den Unternehmen. In der ersten Welle, der Einführung der ERP-Systeme, ging es um das Managen, Verteilen und Integrieren von Daten. In der zweiten Welle stand das Gewinnen von Wissen im Vordergrund: BigData, Analytics oder Business Intelligence sind hier die zu nennenden Stichworte. Doch die Bewältigung der Datenflut alleine hilft oft nicht wirklich weiter. Die dritte Welle zielt deshalb auf konkrete Aktion: Es gilt, aus der Fülle aller in einer Entscheidungssituation denkbaren Möglichkeiten die jeweils beste Handlungsalternative vorzuschlagen, Daten und Wissen also in konkrete Handlungsempfehlungen zu übersetzen. Hier sehe ich ein enormes Wachstumspotential, gerade für deutsche Unternehmen, die offen dafür sind, neue Technologien auszuprobieren.

Ein Blick in die digitale Industrie 4.0 Welt sieht vor, die Produktion in Echtzeit zu steuern. Wo stehen wir heute aktuell zu diesem Thema? Gibt es Unternehmen, die dazu bereits in der Lage sind?

Selbstverständlich – es gibt heute in Deutschland, Österreich und der Schweiz bereits mehr als 500 Unternehmen, sowohl Konzerne als auch klassische Mittelständler, die ihre bewährte IT-Landschaft durch entscheidungsintelligente Systeme ergänzen, die hinreichend schnell – oft in Echtzeit –  wechselnde Bedarfssituationen und verfügbare Ressourcen agil aufeinander abstimmen. Damit reagieren die Unternehmen auf global wachsende Herausforderungen in der Wirtschaft: Die erhöhte Forderung nach Individualisierung (Variantenreichtum, Produktion in Losgröße 1, individuell gestaltbare Produkte), die voranschreitende Vernetzung (arbeitsteilige Produktion und Lieferketten) sowie die zunehmende Beschleunigung (immer kürzere Fristen, steigender Termindruck) und Komplexität der Wertschöpfungsketten und Prozesse.

Industrie 4.0 baut auf digitale Prozesse und Daten, die entlang der Wertschöpfungskette zu jeder Zeit, an jedem Ort und jedem Gerät verfügbar sind. Wie digital sind heute die produzierenden, mittelständischen Unternehmen?

Ich denke, vor allem Maschinen, Material und Personal müssen hinreichend gut verfügbar sein, also je nach Bedarf optimal verteilt. Das ist eines der wesentlichen Ziele, die Unternehmen mit der Transparenz und Flexibilität durch digitale Prozesse erreichen. Die Nutzung digitaler Instrumente dazu ist in vollem Gange. Das ist sehr wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit, denn entlang der Wertschöpfungsketten treten heute als Folge der zunehmenden Komplexität und Vernetzung alltägliche Störungen und andere unberechenbare Ereignisse häufiger auf und richten im betrieblichen Ablauf größere Schäden an. Klassische Beispiele sind Lieferausfälle, unzureichende Maschinenkapazitäten bei eingehenden Eilaufträgen oder eine schwankende Nachfrage. Agile Optimierungssoftware setzt genau dort an und ermöglicht es, auf solche Ereignisse angemessen schnell zu reagieren und die Planung entsprechend anzupassen. Solche Chancen bleiben bislang zu oft ungenutzt.

Mit einer Steuerung der Produktion in Echtzeit müssen alle führenden Anwendungen integriert sein. Welche aktuellen Herausforderungen sehen Sie?

Dank weit verbreiteter ERP-Systeme sind die Daten heute meist gut integriert. Nun gilt es, diese Daten auch gut zu nutzen. Optimierte Planungsqualität durch hohe Rechenleistung und hochentwickelte Algorithmen ist dabei jedoch nur ein Faktor. Es braucht auch eine hohe Geschwindigkeit, also einen agilen Einsatz der Optimierungssysteme, um auf Unvorhersehbares schnell reagieren zu können. Und zwar im interaktiven Zusammenspiel mit den Anwendern, durch eine einfache Parametrierung der Optimierungsziele und eine transparente Visualisierung der Ergebnisse. Diesen Dreiklang aus Planungsqualität, Geschwindigkeit und einfacher Interaktion zu erreichen, ist ein wesentliches Ziel agiler Optimierungssoftware im Zuge des weiteren Ausbaus der Digitalisierung.

Heute werden die Aufträge mit der der Produktionsplanung im ERP-System abgebildet. Zukünftig werden intelligente Produkte die Produktion dezentral und eigenständig steuern. Was bedeutet das für heutige ERP-Systeme? Sind diese dazu überhaupt in der Lage?

Generell halte ich die Vorstellung einer dezentralen Steuerung nicht für zielführend. Wenn jede Maschine für sich genommen entscheidet, welche Produktionsschritte aufeinander folgen müssen, bleiben viele Chancen ungenutzt, über die nur eine zentrale Produktionsplanung den Überblick behalten kann. Eine reibungslose Fertigung gelingt viel mehr durch einen bereichsübergreifenden, zentralen Planungsprozess, der alle relevanten Parameter berücksichtigt und Prozesse bereichsübergreifend aufeinander abstimmt. Zum Beispiel kann es für optimale Durchlaufzeiten situativ nötig sein, einen anstehenden Auftrag absichtlich zu verzögern, weil die zentrale Planung erkannt hat, dass sich diese Entscheidung auf das Gesamtvolumen aller Aufträge positiver auswirkt. Eine solche Planung kann eine autonome Maschine aber nicht liefern, sondern nur ein zentral planendes Optimierungssystem. Auch auf unvorhergesehene Störungen im Betriebsalltag kann eine dezentrale Steuerung nicht angemessen reagieren. Dafür braucht es integrierte Prozesse, die das große Ganze immer im Blick behalten und sich flexibel auf neue Situationen einstellen.

Mit der schnell fortschreitenden Digitalisierung und dem Weg in die Welt der Industrie 4.0 stehen Unternehmen vor großen Herausforderungen. Roboter, BigData, virtuelle Realität und 3D-Druck bieten große Chancen. Allerdings sind Unternehmen teilweise damit überfordert. Was wäre Ihr Ratschlag für die nächsten Schritte?

Diese Überforderung kommt oft daher, dass in Unternehmen die Fehleinschätzung vorherrscht, die gesamte Unternehmensstruktur müsse auf einmal restrukturiert werden. Veränderungen werden dann groß angedacht, aber in der Regel nicht zu Ende geführt. Die größte Schwierigkeit ist nicht, auf gute Ideen zu kommen, sondern diese nachhaltig umzusetzen. Ich empfehle eine „Bottom-up“-Herangehensweise: Anstatt den größten und wichtigsten Prozess zu optimieren, sollten Unternehmen sich zunächst eines kleinen, abgegrenzten Prozesses annehmen, um diesen punktuell zu optimieren und Erfahrungen zu sammeln. Das könnte beispielsweise der werksinterne Transport sein oder die Absatzplanung. Diese Erfahrungswerte können dann in die Optimierung komplexerer Prozesse fließen, wie die Produktionsprogrammplanung oder das Supply Chain Management. Wichtig ist, den neuen Technologien offen gegenüberzustehen und sich aktiv damit zu beschäftigen, auch wenn es nur im Kleinen anfängt.

Kritische Stimmen sind der Meinung, dass sowohl Roboter als auch Software und intelligente Algorithmen Arbeitsplätze vernichten werden. Wie sehen Sie das?

Da bin ich wesentlich optimistischer. Sicherlich gab es ähnliche Reaktionen, als die Dampfmaschine eingeführt wurde. Nur weil einige Tätigkeiten von Maschinen oder Algorithmen übernommen werden, heißt das nicht, dass nicht an anderer Stelle Aufgaben hinzukommen. IT funktioniert nur mit Menschen. Die Einführung von Optimierungssystemen wirkt sich meiner Erfahrung nach äußert positiv auf den Arbeitsalltag der beteiligten Mitarbeiter aus, da sie konkrete Arbeitserleichterungen bewirkt und den Mitarbeiter aufwertet. So übernimmt entscheidungsintelligente Software in der Regel einen Großteil lästiger Routineaufgaben, um die sich Planer und Disponenten vorher hatten kümmern müssen. Sie können sich darum auf genau die Herausforderungen konzentrieren, für die sie qualifiziert sind und strategisch bedeutendere Aufgaben übernehmen. Die wichtigen Entscheidungen bleiben bei den Mitarbeitern, die Software liefert den dafür benötigten Überblick und – im Fall agiler Optimierungssoftware – auch konkrete Handlungsvorschläge.

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//Analyst//Blogger//Keynote Speaker// zu den Fokusthemen #Industrie40, #IoT und #Digitalisierung. Herzlich willkommen auf meinem Ingenieurversteher-Blog. Hier schreibt ein echter, aber nicht ein typischer Ingenieur. Nach einer soliden Ausbildung bei Siemens zum Feinmechaniker habe ich das Abitur nachgeholt und Maschinenbau studiert. Der Schwerpunkt Informatik im Hauptstudium war wohl der ausschlaggebende Grund, dass es mich in die Software-Industrie gezogen hat wo ich heute noch immer aktiv unterwegs bin. Für die Funktionen Vertrieb, Marketing und Produktmanagement habe ich mich meine Leidenschaft entdeckt – sicherlich nicht immer typisch für einen Ingenieur. Im Rahmen meiner Diplomarbeit haben mich Themen wie „Computer Integrated Manufacturing (CIM)“ beschäftigt. Viele Aspekte sind davon heute umgesetzt. Mit der Digitalisierung unserer Gesellschaft allgemein sowie dem Einzug des Internets in die Produktion stehen wir vor großen Herausforderungen, die uns langfristig intensiv beschäftigen werden. Der klassische Ingenieur wird nun mit völlig neuen Themengebieten konfrontiert. Das war u.a. die Motivation für diesen Blog, die Themenbereiche Industrie 4.0 und Digitalisierung aufzugreifen und regelmäßig darüber zu schreiben – leicht verständlich und nicht technisch tief. Gerade aus diesem Zusammenhang hat sich die Marke „Ingenieurversteher“ entwickelt. Ingenieure sind in der Regel Künstler mit einem sehr tiefen technischen Verständnis. Oft sind sie allerdings nicht in der Lage, technisch komplexe Zusammenhänge leicht verständlich einer Zielgruppe zu vermitteln, die nicht über dieses tiefe technische Wissen verfügt. Um Ideen und Innovationen zu vermarkten, müssen diese in eine leicht verständliche Sprache übersetzt werden. Mit einer Vorliebe für analytisches und strukturiertes Recherchieren , der Leidenschaft für das Schreiben und der Freude am Präsentieren ist die Idee vom „Ingenieurversteher“ entstanden.