Digitalisierung und Bildung in Deutschland – Hannes Schwaderer (D21) im Interview

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Hannes Schwader, Präsident der Initiative D21 und Head of Enterprise Sales bei der Intel Deutschland GmbH, nimmt im Interview Stellung zum aktuellen Stand Digitalisierung in Deutschland. 

In der aktuellen Studie beschreiben Sie, dass die Politik die Weichen der Digitalisierung stellen müssen. Wie zufrieden sind Sie mit unseren Weichenstellern in Berlin? Was läuft gut? Was muss besser laufen?

In den letzten Jahren haben Politik und Gesellschaft viele Anstrengungen unternommen. Wir sehen, dass der Koalitionsvertrag die richtigen Signale gibt und die Politik die Zeichen der Zeit erkannt hat. Allerdings bleibt noch sehr viel zu tun und die digitale Transformation ist ein andauernder Prozess, der immer wieder aufs Neue Anpassungen erfordert. Aktuell gibt es viele neue Entwicklungen:

  • Robotik,
  • künstliche Intelligenz,
  • Internet der Dinge

um nur einige zu nennen.

Wir sehen anhand der vielen eingesetzten Kommissionen, dass hier ein enormer Wissensbedarf besteht. Wir brauchen mehr Geschwindigkeit – die gibt uns die Dynamik der Digitalisierung vor. Aber wir brauchen auch mehr Richtung – und die kommt aus klugen, gesellschaftspolitischen Entscheidungen und dafür brauchen wir die Verbreiterung der Wissensbasis. Ohne eine Richtung ist es wie Autofahren im Dunkeln ohne Licht.

Was muss passieren, damit wir die 16 Millionen, sich im digitalen Abseits befindlichen Bürger nicht langfristig komplett verlieren?

Man kann sich der Digitalisierung immer weniger entziehen, daher ist es wichtig, dass wir alle Menschen in unserer Gesellschaft mitnehmen. Wir sollten ihnen einen Nutzen und die Vorteile aufzeigen, sie brauchen passgenaue Angebote, die ihnen einen Mehrwert in ihren konkreten Lebenssituationen bringen. Das kann sich individuell sehr unterscheiden – denken Sie beispielsweise an eine ältere Dame, die dank Sprachtechnologie ganz bequem das Licht an und aus machen kann, ohne aus dem Bett aufstehen zu müssen.

Oder die vielen Chancen, die Roboter bringen können um unser alltägliches Leben zu erleichtern, in dem sie zum Beispiel in der Pflege einfache Aufgaben übernehmen, den bedürftigen Personen mehr Freiheiten erlauben und gleichzeitig die Pflegekräfte entlasten, so dass sie mehr Zeit für die Menschen haben. Denken sie an die Großeltern, die ihre Kinder und Enkelkinder nur noch selten persönlich sehen können, weil diese ins Ausland gezogen sind, aber dank moderner Kommunikationswege trotzdem regelmäßig im Kontakt stehen und das Aufwachsen mitverfolgen können.

Wir müssen den Menschen helfen, die Möglichkeiten der digitalen Technik für sich zu nutzen und sie kompetent bedienen zu können. Digitalkompetenzen bedeuten gesellschaftliche Partizipation und eine selbstbestimmte Zukunft, sie ist eine Investition in die Zukunft.

In den Schulen wird oftmals die Digitalisierung auf dem Pausenhof, nicht aber im Klassenraum erlernt. Was muss sich ändern?

Kinder wachsen heute ganz selbstverständlich mit der Digitalisierung auf – wir haben das 2015 im Rahmen einer Sonderstudie untersucht und festgestellt, dass dort drei Welten auseinanderklaffen: Die Lehrwelt in der Schule, die Lernwelt zu Hause, wo die Kinder und Jugendlichen ihre die Hausaufgaben machen und die Lebenswelt der Heranwachsenden in ihrer Freizeit. Das ergibt aus Sicht der Kinder keinen Sinn und ist in der täglichen Praxis schwer zu erläutern.

Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sie die richtigen Kompetenzen lernen – das spiegelt sich auch in aktuellen politischen Strategiepapieren wider, braucht aber Zeit (bspw. KMK: Strategie zur Bildung in der digitalen Welt, EU-Digitalkompetenz-Framework). Schulen müssen nachziehen, dazu zählen nicht nur der Einsatz moderner Medien im Unterricht sondern auch Digitalisierung der Schulprozesse und der Lehrerschaft.

Google, Apple, Facebook und Amazon dringen immer stärker in Branchen jenseits ihrer Kernkompetenz ein und wirbeln diese kräftig durcheinander. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Diese Unternehmen sind absolute Vorreiter der digitalen Wirtschaft und bewegen sich mit unglaublich hoher Geschwindigkeit und Innovationskraft in neue Geschäftsfelder. Die Digitalisierung verändert altbekannte Logiken – denken sie nur an die Plattformökonomie. Nicht mehr derjenige mit den Produkten macht das Geld, sondern der, der die Daten und das Wissen über die Kunden hat und die Prozesse steuert.

Es ist wichtig, dass wir in Deutschland die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, um einen fairen, weltweiten Wettbewerb zu ermöglichen. So hat beispielsweise die DSGVO einen wichtigen Beitrag geleistet, weil sie alle Unternehmen gleichermaßen an Regeln zum Umgang mit Daten binden, egal wo sie ihren Firmensitz haben. Am Ende entscheidet über den Erfolg in dieser dynamischen Umgebung, ob sich Unternehmen rechtzeitig auf den Weg machen, diesen Wandel erkennen und in die Hand nehmen.

Aktuell stehen beispielsweise die Wirtschaftsprüfungen vor großen Veränderungen durch lernende Algorithmen, künstliche Intelligenz und Automatisierung. Viele Prozesse können heute automatisiert ablaufen. Das ist nicht das Ende der Wirtschaftsprüfer, aber es bedeutet große Änderungen für die Branche, die sich diesen Gegebenheiten anpassen muss.

Ist gerade den kleineren, mittelständischen Unternehmen bewusst, welche digitale Druckwelle auf uns zukommt? Sehen und verstehen diese die disruptiven Auswirkungen?

Die Dringlichkeit ist sicherlich allen Unternehmerinnen und Unternehmern bewusst. Wie bereits erwähnt, dringt die Digitalisierung auch in Branchen vor, die nicht zuerst digital getrieben waren – und bei denen es vor einigen Jahren noch wenige vermutet hätten. KMUs stehen vor anderen Herausforderungen als große Konzerne. Sie haben oft keine großen, hochprofessionellen IT-Abteilungen und IT-Sicherheits-Experten etc., gerade bei den kleineren Unternehmen in digitalferneren Branchen fehlt es dann öfter auch an Basiskenntnissen.

Dann wird zum Beispiel die Umsetzung der DSGVO eine wirkliche Herausforderung. Da reicht es nicht, wenn man mit Glasfaser gefördert wird, weil man sein Geschäftsmodell dadurch noch lange nicht an die digitalen Gegebenheiten angepasst hat. Und dann sind wir wieder an dem Punkt, dass wir zielgruppenspezifische Angebote benötigen. Das Breitbandbüro des Bundes macht dies zum Beispiel mit den Regionaltouren, auch das BMWi fördert hier speziell den Mittelstand. Aber der Bedarf ist riesig, das bedeutet für sie alle großen Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen.

Sind die Unternehmen bereit und in der Lage, ihre heutigen Geschäftsmodelle kritisch zu hinterfragen und auf Zukunftsfähigkeit zu überprüfen?

Das ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Es gibt hier – ähnlich wie auch beim Blick auf den einzelnen Menschen – Vorreiter, Mithaltende und dann natürlich solche, die sich schwertun. Der Monitoring-Report Wirtschaft DIGITAL vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zeigte für dieses Jahr, dass mehr als ein Drittel der deutschen Unternehmen zu den Vorreiter bzw. Fortgeschrittenen bei der Digitalisierung gehört.

Ein gutes weiteres Drittel bewegt sich im Mittelfeld. Das ist erst einmal eine positive Nachricht, dass so viele die digitale Transformation intensiv vorantreiben. Es zeigt den Willen, den deutschen Wirtschaft, das etablierte Geschäft zu hinterfragen und anzupassen oder sogar neu auszurichten. Aber wahr ist leider auch, dass sich mehr als jedes vierte Unternehmen noch sehr wenig oder gar nicht um das Thema gekümmert hat.

Für diese wird es im Zweifelsfall sehr schwer in absehbarer Zeit und sie müssen umso entschlossener daran arbeiten, ihre Geschäftsmodelle zukunftsfähig anzupassen. Gerade den bereits angesprochenen KMUs aus technikferneren Branchen sollten wir dabei unter die Arme greifen.

Was wären Ihre Top 3 Wünsche an unsere Bundesregierung?

Wir sollten die Investition in die digitale Infrastruktur mit Nachdruck voranbringen, sie ist die Grundlage für jetzige und zukünftige technische Anforderungen. Der Zugang zu schnellem Internet sollte zur Grundversorgung zählen. Dann müssen wir unseren Bildungsansatz neu starten. Wir sollten einen deutlich stärkeren Fokus auf Digitalkompetenzen in unserem (Weiter-)Bildungssystem legen, denn auf diese Kompetenzen wird es zukünftig noch stärker ankommen.

Dafür müssen wir verschiedene Akteure in den Blick nehmen: Wir brauchen massive Anstrengungen und Investitionen in die Bildung der jüngeren Generationen, also in Schulen, Berufsschulen und Universitäten. Wir brauchen aber auch Investitionen in die gesellschaftliche Bildung, das heißt in unabhängige Medien, beispielsweise über die modernen Formate der öffentlich-rechtlichen Sender. Diese sollten viel stärker einen Bildungsauftrag wahrnehmen und die Digitalisierung chancenorientiert begreifen und behandeln.

Zudem brauchen wir Maßnahmen für Digitalkompetenzen in Entscheidungspositionen. Die Verankerung von IT-Kompetenzen für Führungskräfte in der ÖV im Koalitionsvertrag ist ein erster guter Ansatz. Aber diese Kompetenzen benötigen wir auch in der Politik, denn diese muss zunehmend auch über sehr komplexe Digitalinhalte mit weitreichenden Folgen entscheiden, denken sie an das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Deutschland oder die Reform des Urheberrechts in der EU.

Digitalisierung zwingt uns komplexer zu denken, dafür müssen wir uns wappnen und das geht nur mit Bildung. Wir müssen Themen noch vorausschauender angehen, um von vornherein zu gestalten statt nur zu reagieren. Wir bewegen uns dafür in die richtige Richtung, aktuell hat zum Beispiel der Bundestag eine Enquete zu künstlicher Intelligenz gegründet und geht damit bereits Fragen von heute und morgen an. Sie muss gemeinsam mit allen Akteuren, auch mit der Wirtschaft, im engen Austausch stehen, um die digitale Transformation zu meistern

Wie sieht in Bezug auf Digitalisierung Ihr Bild von Deutschland im Jahr 2025 aus?

Wir werden eine viel stärker automatisierte Welt sehen, Sprachtechnologien werden sich durchgesetzt haben, die Technik wird ein viel intuitiverer Teil unseres Alltags sein als heute, künstliche Intelligenz wird uns an vielen Stellen begleiten. Ich hoffe, dass wir 2025 zurückblicken und sagen können, dass wir viele der Herausforderungen der Digitalisierung erfolgreich meistern konnten, es geschafft haben, unsere Kernkompetenzen zu transformieren und gut für die kommenden Entwicklungen einzustellen. Ich denke, dass wir an vielen Stellen die Weichen richtig gestellt haben und nun mit Nachdruck an die Umsetzung gehen müssen. Gleichzeitig müssen wir aber immer wieder überprüfen, ob der eingeschlagene Kurs noch stimmt und gegebenenfalls nachjustieren.

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Meine Daten sollen nicht in Google Analytics erfasst werden. für das Google Opt-Out

 

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Digitalisierung und Bildung in Deutschland - Hannes Schwaderer (D21) im Interview
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//Analyst//Blogger//Keynote Speaker// zu den Fokusthemen #Industrie40, #IoT und #Digitalisierung. Herzlich willkommen auf meinem Ingenieurversteher-Blog. Hier schreibt ein echter, aber nicht ein typischer Ingenieur. Nach einer soliden Ausbildung bei Siemens zum Feinmechaniker habe ich das Abitur nachgeholt und Maschinenbau studiert. Der Schwerpunkt Informatik im Hauptstudium war wohl der ausschlaggebende Grund, dass es mich in die Software-Industrie gezogen hat wo ich heute noch immer aktiv unterwegs bin. Für die Funktionen Vertrieb, Marketing und Produktmanagement habe ich mich meine Leidenschaft entdeckt – sicherlich nicht immer typisch für einen Ingenieur. Im Rahmen meiner Diplomarbeit haben mich Themen wie „Computer Integrated Manufacturing (CIM)“ beschäftigt. Viele Aspekte sind davon heute umgesetzt. Mit der Digitalisierung unserer Gesellschaft allgemein sowie dem Einzug des Internets in die Produktion stehen wir vor großen Herausforderungen, die uns langfristig intensiv beschäftigen werden. Der klassische Ingenieur wird nun mit völlig neuen Themengebieten konfrontiert. Das war u.a. die Motivation für diesen Blog, die Themenbereiche Industrie 4.0 und Digitalisierung aufzugreifen und regelmäßig darüber zu schreiben – leicht verständlich und nicht technisch tief. Gerade aus diesem Zusammenhang hat sich die Marke „Ingenieurversteher“ entwickelt. Ingenieure sind in der Regel Künstler mit einem sehr tiefen technischen Verständnis. Oft sind sie allerdings nicht in der Lage, technisch komplexe Zusammenhänge leicht verständlich einer Zielgruppe zu vermitteln, die nicht über dieses tiefe technische Wissen verfügt. Um Ideen und Innovationen zu vermarkten, müssen diese in eine leicht verständliche Sprache übersetzt werden. Mit einer Vorliebe für analytisches und strukturiertes Recherchieren , der Leidenschaft für das Schreiben und der Freude am Präsentieren ist die Idee vom „Ingenieurversteher“ entstanden.