In der 2-teiligen Artikelserie zum Thema Predictive Maintenance werden im ersten Teil sieben Gründe genannt, die maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass sich das Thema in der Industrie nur mit großer Verzögerung durchsetzt. In zweiten Teil werden fünf konkrete Ansätze vorgestellt, mit denen sich die im Teil 1 genannten Barrieren umschiffen lassen.
Fast alle Fachleute und Führungskräfte halten vorausschauende Instandhaltung für einen effektiven und nutzenbringenden Ansatz und für ein wesentliches Element der Smart Maintenance. Die Vorteile scheinen auf der Hand zu liegen. Wenn man mit vernünftiger Vorlaufzeit erfahren kann, wann ein Anlagenteil nicht mehr anforderungsgerecht arbeiten wird, kann man rechtzeitig Gegenmaßnahmen einleiten. Das ist fast immer wirtschaftlicher als abzuwarten, bis etwas nicht mehr optimal funktioniert oder gar ausfällt.
Denn man vermeidet Produktionseinschränkungen, ad-hoc-Einsätze und Folgeschäden – alles Faktoren, die die Kosten von Produktion und Instandhaltung unnötig erhöhen. Gleichwohl setzt sich prädiktive Instandhaltung (englisch: Predictive Maintenance) in den meisten Unternehmen kaum oder nur sehr verzögert durch. Woran liegt das? Wir haben die Projekterfahrungen der letzten drei Jahre ausgewertet und haben diese Ursachen identifiziert:
Fixierung auf kurzfristige Business Cases statt auf strategischen Nutzen
Entscheidungen über den Einsatz von KI sind daher häufig eher strategische als operative Entscheidungen. Aber vor allem ist Predictive Maintenance selbst eine strategische Instandhaltungsmethode. Denn sie verändert das Paradigma der Instandhaltung grundlegend und nachhaltig, denn sie stellt anstelle von rückschauender Analyse und reaktivem Korrigieren das vorausschauende, planerische Handeln und die Vermeidung von Ausfällen in den Vordergrund. Diese Umstellung wird Auswirkungen auf die gesamte Organisation von Instandhaltung und technischen Services haben.
Unsicherheit durch fehlendes Wissen und fehlende Schlüsselkompetenzen
Fach- und Führungskräfte in Produktion und Technik sind üblicherweise Menschen mit einer ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung, sehr häufig aus dem Maschinenbau. Traditionell spielten in der Ausbildung der Ingenieure digitale Technologien, wenn überhaupt, dann nur eine untergeordnete Rolle. Weil aber mit zunehmender Digitalisierung auch Büro-IT und Shop-Floor-Automation immer stärker zusammenwachsen, gewinnt Wissen über Automation und Systemdynamik, Mathematik und Statistik und Softwareentwicklung und IT-Architekturen zunehmend an Bedeutung.
Falsche Erwartungen an KI-Technologie
Mit zunehmender Entfernung vom Fachgebiet fällt es offenbar umso schwerer, die Verheißungen von Innovationen von der technischen Reife der tatsächlichen Produkte zu trennen. In der Folge neigen manche Entscheider dazu, sich auf die Darstellungen von Experten, Beratern und Herstellern zu verlassen, die jedoch nicht immer völlig uneigennützig sind. Dem gegenüber scheinen Betroffene in Produktion und Technik Innovationen gegenüber häufig zurückhaltend, weil sie sich gerne auf erprobte Lösungen und Ansätze verlassen und wissen, dass „der Teufel im Detail steckt“. Beide Verhalten sind vorurteilsbehaftet, und sind kontraproduktiv bei der operativen und strategischen Nutzenbewertung von Predictive Maintenance in der Instandhaltung und allgemein von Maschinellem Lernen in der Industrie. Hilfreicher scheint es zu sein, die Unabdingbarkeit des technologischen Wandels anzuerkennen und kluge Kriterien auszuarbeiten, wann der optimale Einstiegspunkt gegeben ist.
Fehlende Integration von Domänenwissen und Messtechnik mit KI-Technologie
Wie in den meisten industriellen KI-Projekten besteht die Hauptaufgabe beim Einsatz von Predictive Maintenance, abstrakte mathematische Datenmodelle möglichst eng an die tatsächliche Anlagenrealität anzunähern, um präzise und aussagekräftige Informationen für die Prozesse und für die Organisation zu gewinnen. Dazu reicht es oftmals nicht, sich auf die Zustandsdaten zu fokussieren, sondern häufig sind auch Prozess-, Qualitäts- und weitere Daten der Problemumgebung zu berücksichtigen.
Dabei kristallisiert sich Fachwissen und Betriebserfahrung als wesentlich heraus. Dies beschreibt der Begriff „Domain Expertise“ (deutsch etwa: Domänenwissen). Dabei sollten Domänenexperten möglichst auch Einblick in die eigentliche Datenerfassung und in die Datenquellen haben und die Plausibilität, Qualität und Toleranz von Messungen und Datenaufnahmen beurteilen können, da sich Fehler und Ungenauigkeiten bei der Datenaufnahme durch das gesamte Projekt ziehen werden, die Gesamtqualität der Aussagen beeinflussen und im Nachhinein meist nur mit zusätzlichem Aufwand korrigierbar sind.
Falsche Einschätzung der Datenquellen und fehlende Methodenkenntnis
Hinsichtlich des Einsatzes von Predictive Maintenance bestehen einige Vorurteile, die häufig aus mangelndem Vorwissen oder nicht vorhandener Erfahrung zu stammen scheinen. Zu diesen Vorurteilen gehören typischerweise unter anderem:
- Für die Vorhersage oder Erkennung von Anomalien müssten technische Zustandsdaten erhoben werden
- Um technische Zustandsdaten zu erfassen, müssten Condition Monitoring-Systeme eingesetzt werden
- Prozess-, Qualitäts- und Verfahrensdaten seien Domäne der Produktionsoptimierung und brauchen für die Predictive Maintenance nicht berücksichtigt zu werden
- Predictive Maintenance sei nur möglich, wenn es in der Vergangenheit ausreichend viele Ereignisse, Anomalien oder Störungen gegeben hat und die Daten entsprechend gekennzeichnet sind
- Man müsse sich entweder auf die Verhaltensmodellierung oder die Anomalieerkennung konzentrieren, um aussagefähige Datenmodelle zu erhalten
Fehlende Einbindung von Predictive Maintenance-Informationen in das Geschäfts- und Servicemodell
Je reaktiver und retrospektiver eine Instandhaltungsmannschaft bisher gearbeitet hat, desto geringer wird der Nutzen der neuen Information ausfallen. Drastisch formuliert bedeutet dies:
- Der Einsatz von Predictive Maintenance darf nicht auf wenige Anlagenteile beschränkt bleiben, sondern muss möglichst flächendeckend erfolgen
- Die Information daraus sollte nach Möglichkeit in neue Service- und Organisationsmodelle fließen, die vorausschauend, planend und vermeidend arbeiten
- Dieser Paradigmenwechsel erfordert also auch eine entsprechende Anpassung von Service- und Vergütungs- bzw. Anreizsystemen, denn mit dem steigenden Einsatz von Predictive Maintenance wird es bei gleichbleibender Verfügbarkeit unvermeidlich zu einem Rückgang der klassischen Instandhaltungsleistungen kommen, da der Reparaturaufwand abnehmen sollte und die Wartungs- und Inspektionszyklen sich im Durchschnitt verlängern sollten und sich die Betreiber erwarten, an diesen Einsparungen beteiligt zu werden
Mangelnde Wahrnehmung und Kommunikation der strategischen Auswirkungen
Selbst wenn die methodischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Barrieren erkannt und beseitigt werden, besteht weiterhin die Möglichkeit, dass die erforderlichen Entscheidungen zur Umsetzung von Predictive Maintenance nicht getroffen werden. In diesem Fall können die Funktion der Instandhaltung aus Managementsicht zu unbedeutend oder die hierarchische Macht der Technik im Unternehmen zu schwach sein, um für solche tiefgehenden Veränderungen die erforderliche Wahrnehmung zu schaffen.
Letztlich bleibt es die fundamentale Verantwortung der Serviceorganisation, das interne Marketing der Ideen zu übernehmen, die für ihre eigene Zukunft prägend sind. Dies kann sinnvollerweise im Verbund mit den internen und externen Kunden in Produktion und Technik geschehen. Denn wer anders als die Betroffenen soll die optimale Kommunikation solch wichtiger Ideen übernehmen?
Weiterlesen | Teil 2 – Lösungsansätze für die Umsetzung
Dieser Gastartikel von Ahorner & Innovators ist am 19.09.2020 im Rahmen der Blogparade #TheAIFactory erschienen.
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